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    4 days ago

    Der Beschluss erfolgte in einem zunehmend angespannten politischen Klima, in dem der Vorwurf des Antisemitismus allzu oft verwendet wird, um jüdisches Leben zu unterdrücken, statt es zu unterstützen.

    Sogar Kenneth Stern, der Hauptverfasser des IHRA-Textes, hat sich mittlerweile von dessen Verwendung als Zensur- und Überwachungsinstrument distanziert. Was als bescheidenes heuristisches Werkzeug begann, hat sich – besonders in Deutschland – in ein quasi-rechtliches Instrument mit weitreichenden Folgen verwandelt. Überprüfungen durch den Verfassungsschutz, Ausladungen jüdischer Redner und Repressionen gegen Proteste wurden alle mit der IHRA begründet.

    Feministische Rechtswissenschaftlerinnen haben diese Logik seit Langem benannt – unter dem Begriff „governance feminism“: Wenn der Staat vorgibt, eine vulnerable Gruppe zu „schützen“, bedeutet das oft, dass er diese Gruppe kontrolliert und diszipliniert – in Übereinstimmung mit anderen politischen Zielen. Genau das geschieht derzeit mit Juden. Was angeblich Schutz ist, ist in Wahrheit Kontrolle – um insbesondere diejenigen, die die israelische Staatsgewalt kritisch sehen, mundtot zu machen.

    Ein gängiges Gegenargument lautet, dass die Mehrheit der deutschen Juden die IHRA-Definition unterstützt und die deutsche Politik sich daran orientieren solle. Selbst wenn das empirisch zuträfe – was weiterhin ungewiss ist – wäre das Argument grundlegend verfehlt. Die Antisemitismuspolitik in Deutschland sollte alle Juden schützen, auch jene, wie mich selbst, die die aktuelle israelische Regierung ablehnen und auf einem Vokabular beharren, das es uns erlaubt, jüdisch zu sein und Israel zu kritisieren. Dazu gehört auch das Recht, Handlungen wie das gezielte Aushungern von Zivilisten in Gaza, das mittlerweile umfassend von UN-Organisationen und Menschenrechtsgruppen dokumentiert wurde, zu benennen, ohne als antisemitisch diffamiert zu werden.

    Nachdem die Kritik an den beiden Bundestagsresolutionen Ende letzten und Anfang diesen Jahres weitestgehend ignoriert wurde, hoffe ich, dass dieser Beitrag dazu beiträgt, dass zu ändern. Die beiden Resolutionen, die von der AfD bejubelt wurden, fordern die Anwendung der IHRA Definition und ebenjene Überwachung, Kontrolle und Repression gegen alle, die sich klar gegen die “Staatsräson” positionieren, insb. eben auch Jüdinnen und Juden.

    Ich hoffe dass diese Resolutionen und ihre Unterstützer (AfD, CDU/CSU, FDP, SPD und Grüne) als Mahnmal in die Geschichte eingehen werden, wie wenig Deutschland tatsächlich aus seiner Geschichte gelernt hat. Zur umfangreichen Kritik an den beiden Resolutionen kann ich zwei Pressekonferenzen empfehlen. In diesen stellt ein Bündnis aus Wissenschaft, Kultur und Medien die massiven Probleme dieser Resolutionen heraus:

    06.11.2024
    30.01.2025