Das Urteil sei ein Erfolg, sagt Emil T. nach der Verhandlung am Freitag zu »nd«. Der Student ist gerade freigesprochen worden. Ihm war von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden, auf einer pro-palästinensischen Demonstration im Mai 2024 die Parole »From the river to the sea, palestine will be free« gerufen zu haben. Außerdem soll er im Rahmen der Besetzung des Theaterhofs der Freien Universität im selben Monat Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet haben.
Nachdem in der Verhandlung im Amtsgericht Tiergarten Videos von der angeblichen Widerstandshandlung gezeigt wurden, war selbst die Staatsanwaltschaft von ihrem Vorwurf abgerückt und plädierte für einen Freispruch des Angeklagten. Die Richterin sah es ähnlich: »Wie das ein Widerstand sein soll, ist mir ein Rätsel«, sagte sie.
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Die Staatsanwaltschaft beantragte, dass der Student wegen des Verwendens eines Kennzeichens einer verbotenen Vereinigung verurteilt werden soll. Das Bundesinnenministerium hatte im November 2023 gleichzeitig die islamistische Hamas und das Gefangenennetzwerk Samidoun verboten. Im Zuge dessen erklärte das Ministerium die Parole »From the River to the Sea« – ohne zweiten Teilsatz – zum Symbol beider Vereinigungen.
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Zentral ist dabei die Frage: Ist die Parole eine Parole der Hamas? Am Freitag wird dazu eine Sachverständige der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamts Berlin gehört. Die politische Referentin verweist auf die Geschichte der Parole, die von palästinensischen Akteur*innen das erste Mal in den 60ern verwendet worden sei. Damals sei so die Forderung nach einem säkularen Staat zum Ausdruck gebracht worden, so die Sachverständige.
Aber auch die Hamas verwende die Formulierung. Die Beispiele, die die Sachverständige nennt, sind etwa die Hamas-Charta von 2017 und das Bild eines Wahlplakats aus dem Jahr 2006 in Ramallah im Westjordanland – zu finden auf Wikipedia – auf dem »PALSETINE From Sea to Rever« (sic!) steht. Letzteres sei der Fall, der einer Verwendung als Slogan am nächsten komme. Denn: »Ich habe kein Beispiel finden können, wo die Parole von der Hamas als Wahlspruch verwendet wurde, ohne Kontext«, so die LKA-Mitarbeiterin. Wer das Foto des Plakats gemacht hat, wer es wann aufgehängt hat, kann sie allerdings nicht sagen.
Aber nicht nur palästinensische Akteure nutzen den Ausspruch. Auch Politiker der nationalkonservativen Partei Likud, der auch der aktuelle israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu angehört, haben die Formulierung »from the river to the sea« oder ähnliche schon verwendet. Und auch auf pro-israelischen Demonstrationen wird teilweise auf die Formulierung zurückgegriffen. So hat laut der LKA-Mitarbeiterin im April 2024 ein Demonstrant »From the river to the sea, palestine will never be« gerufen und eine israelische Fahne geschwenkt.
Emil T. verliest zum Schluss des Prozesses eine politische Erklärung, in der er schwere Vorwürfe erhebt: Der Grund der Anklage sei nicht juristisch, sondern politisch. »Sie ist ein Akt der Staatsräson, nicht der Justiz.« Er geht ausführlich auf die Gründe für den Protest ein: In Palästina finde ein »Genozid« statt. »Eine ganze Bevölkerung wird ausgehungert, zerbombt, vertrieben«, so der Student. Das alles geschehe mit diplomatischer Rückendeckung und militärischer Unterstützung westlicher Länder vor allem Deutschlands. »Wir stehen in der Tradition von antimilitaristischen Studentenbewegungen wie den 68ern«, sagt er. Diese hätten sich mit dem Befreiungskampf in Vietnam solidarisiert und sich gegen den Krieg gestellt. Die Parole, wegen der er angeklagt ist, sei wichtig, weil sie »auf ein Leben jenseits der nationalen Grenzen, Krieg und Unterdrückung« hinweise.
Das Gericht folgt der Argumentation der Verteidigung und spricht T. frei. Die Richterin habe, wie sie sagt, schon Bedenken gehabt, überhaupt einen Strafbefehl zu erlassen. Es werde mit Kanonen auf Spatzen geschossen und politischer Protest kriminalisiert. Auf den Vorwurf von T. hin, die Justiz agiere politisch, verweist sie darauf, dass es schon andere Freisprüche gegeben habe. »Viele Richter sehen das auch so.«
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