Deutsche Behörden hätten sie nicht an Ungarn ausliefern dürfen: Das Bundesverfassungsgericht hat der Beschwerde einer mutmaßlichen linksextremen Person stattgegeben.
Das Bundesverfassungsgericht hat die vorschnelle Auslieferung einer mutmaßlich linksextremen Person an Ungarn als unzulässig eingestuft.
Damit gab das Gericht der Beschwerde der sich als non-binär identifizierenden Person mit deutscher Staatsangehörigkeit gegen ihre bereits erfolgte Auslieferung nach Ungarn statt. Das schreibt das Gericht in einer Pressemitteilung.
Der Person wird vorgeworfen, Anfang Februar 2023 zusammen mit anderen Menschen Rechtsextremisten in Budapest angegriffen und verletzt zu haben.
Das Kammergericht Berlin hatte die Auslieferung an Ungarn im Juni 2024 für rechtmäßig erklärt. Obwohl bereits eine Verfassungsbeschwerde anhängig war, lieferten die Behörden die Person an die ungarischen Behörden aus.
Am Tag darauf beschloss das Bundesverfassungsgericht dann eine einstweilige Anordnung, die die Auslieferung bis zur Entscheidung in der Hauptsache eigentlich untersagte – da war die Person aber schon in Ungarn. Nun hat das Verfassungsgericht die Auslieferung auch im Hauptsacheverfahren als unzulässig eingestuft.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Staatsanwaltschaft nach ihrer einstweiligen Anordnung angewiesen, “durch geeignete Maßnahmen eine Übergabe des Antragstellers an die ungarischen Behörden zu verhindern und seine Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland zu erwirken”. Die Person befindet sich jedoch weiterhin in Ungarn.
In seinem Beschluss bezeichnet das Bundesverfassungsgericht die Auslieferung als unzulässig. Insbesondere habe das Kammergericht die Haftumstände, die die beschwerdeführende Person in Ungarn erwarteten, nicht hinreichend aufgeklärt, schreibt das Gericht.
Das Bundesverfassungsgericht sieht in der Auslieferung der Person eine Verletzung ihrer EU-Grundrechte. Es glaubt den schriftlichen Zusagen der ungarischen Behörden ausdrücklich nicht, dass non-binäre Personen keine Diskriminierung oder Gewalt in ungarischen Gefängnissen zu fürchten haben. In der Klage hatte sich die betroffene Person mit Hinweis auf ihre Geschlechtsidentität auf Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) berufen.
Diese Entscheidung ist auch politisch brisant. Das Gericht schreibt, dass die Politik der aktuellen ungarischen Regierung “als gender-, homo- und transfeindlich bezeichnet” werden müsse und “früher in Ungarn erreichte Maßnahmen zur Gleichbehandlung von Homosexuellen und Transpersonen in diskriminierender Weise wieder abgebaut würden”.
Zudem liege ein Bericht der Nichtregierungsorganisation Ungarisches Helsinki-Komitee vor, “demzufolge lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere Insassen in ungarischen Justizvollzugsanstalten einer Diskriminierungsgefahr ausgesetzt seien, die sich verbal oder in Form von körperlichen Belästigungen durch andere Insassen oder durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalt äußern könne”, schreibt das Gericht.
Vorgeworfen werden der Person mehrere linksextreme Angriffe: Im Februar 2023 soll sie gemeinsam mit weiteren Verdächtigen mehrere Rechtsextreme oder von ihnen hierfür gehaltene Personen in Budapest angegriffen und verletzt haben.
Die ungarischen Behörden werfen der Person zudem vor, seit 2017 einer kriminellen Vereinigung anzugehören, deren Ziel Angriffe auf die rechtsextreme Szene gewesen sein soll.
Die Person wurde im Dezember 2023 aufgrund eines auf Betreiben der ungarischen Behörden erlassenen Europäischen Haftbefehls in Berlin festgenommen, schreibt das Gericht. Ob Deutschland nun die Rücküberstellung beantragen wird, blieb zunächst unklar.